Vielleicht war sie ja wirklich einfach nicht gut genug. Dieses Gefühl, dass sie seit so vielen Jahren begleitete, war vielleicht einfach da, weil es die Wahrheit war. Sie war eine prollige Mexikanerin mit einer Legasthenie. Wenn man so darüber nachdachte, war doch klar, dass kein Kerl ausgerechnet sie als feste Freundin haben wollte. Dieser Gedanke tat jedoch so weh, dass sie ihn möglichst weit hinten in ihrem Bewusstsein vergrub. Stattdessen konzentrierte sich Izzy lieber auf die gute Geschichte, die ihr Cousin ihr zu erzählen hatte. Lächelnd verzog sie das Gesicht, als sie auf seine Bemerkung, er habe es vielleicht erst richtig angekurbelt, mit einem "Naaaaaaaaw!!!" antwortete. "Das wäre ja so süß. Wie in einer guten Telenovela.", und unfassbar kitschig. Aber im Gegensatz zu ihrem Cousin stand sie drauf und war daher dem Gedanken, ihr grummeliger Cousin hätte möglicherweise unbeabsichtigt Amor gespielt, gar nicht mal so abgeneigt.

Als er wieder auf Séb zu sprechen kam - der in letzter Zeit irgendwie auffällig oft Gesprächsinhalt war - konnte sie gar nicht anders als Paco ein wenig aufzuziehen und an ihrer Theorie zu arbeiten, dass er heimlich doch auf Séb stand. Und der Umstand, dass ihr Cousin nun doch einige private Details kannte, verstärkten diese Vermutung nur noch. Daran änderte auch nichts, dass Paco eine ziemlich gute Erklärung parat hatte. Die sie tatsächlich ein wenig Mitgefühl für Séb und Bewunderung für ihren Cousin aufbringen ließ. "Das tut mir leid.", sie selbst wusste sehr gut wie ätzend es war, wenn man von jemandem bedrängt wurde. Und es sprach natürlich für Paco, dass er den armen Kerl nicht einfach seinem Schicksal überlassen sondern ihm geholfen hatte. "Du bist einfach so ein guter Kerl.", teilte sie ihm mit, während sie ihre Arme schon um ihn schlang und ihren Kopf gegen seinen lehnte. "Kein Wunder, dass er dich liebt. Du bist einfach der beste Kerl, den es in Marseille gibt. Auch wenn du immer so grummelig bist und alle Leute von dir stößt, die nett zu dir sind.", außer sie eben. Sie war die einzige, die Paco selbst dann noch an sich heran ließ, wenn er alle anderen um sich herum hasste.

Der Mexikaner war sich sicher, dass die anderen Typen, die, die seine Cousine nicht zu schätzen wussten, einfach nicht wussten, wie toll sie war. Nicht nur, dass er der Meinung war, so ein kleines, mit der Norm konformes Püppchen sei ziemlich langweilig – er für seinen Teil wusste ganz genau wie aufopferungsvoll die Jüngere war und wie viel sie eigentlich für die Menschen, die ihr wichtig waren, tat. Ganz besonders in Bezug auf ihre Familie. Weil sie eben so erzogen worden waren. An und für sich mochte Paco zwar nicht böse darüber sein, dass sie keine großartigen Verehrer hatte, die es zu vergraulen oder zumindest in Schach zu halten gab, allerdings tat es ihr doch auch leid. Weil er eben wusste, dass sie es wirklich gern anders gehabt hätte. Dass sie weitaus romantischer veranlagt war als er war immerhin nichts Neues. „Wäre jedenfalls voll dein Ding.“, kommentierte er ihre Reaktion auf seine Story mit einem Schmunzeln und schüttelte sachte über sie den Kopf. Eigentlich war es schade. Er hätte nichts gegen mehr mit Val gehabt und etwas mit einem reichen, etwas älteren Typen zu haben klang auch ziemlich verlockend, aber das konnte er sich wohl beides in die Haare schmieren. War aber okay. Auch, wenn er selbst nicht viel von diesem ganzen Romantik-Kram hielt, gönnte er es seinen Mitmenschen ja trotzdem, so war es nicht.
Wieder musste er etwas schmunzeln, als die Jüngere ihn nicht nur in den Arm nahm, sondern auch damit begann ihm vorzubeten, was für ein feiner Kerl er war. „Übertreib mal nicht.“, lachte er leise und drückte mit seinem Kopf kurz sachte gegen ihren. „Als ob ich jemanden einfach seinem Schicksal überlasse, wenn das schon so offensichtlich in eine ganz falsche Richtung geht.“ Da spielte es auch keine Rolle, ob er diesen Jemand mochte oder nicht. Er war eben einfach kein Unmensch – egal wie sehr er es versuchte. Dazu hatten seine Eltern ihn ganz schlicht und einfach nicht erzogen. „Und er liebt mich nicht – er ist einfach nur scharf auf mich.“ Das waren in diesem Fall einfach zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Nur, weil man auf jemanden stand, musste man ihn ja nicht gleich lieben. „Das hört schon wieder auf. Wobei ich langsam echt das Gefühl hab, dass es ihm nur noch nen Extra-Kick gibt, wenn ich ihn wegstoße.“ Andererseits hatte nett sein auch nicht so ganz geholfen, wenn er an den Kuss dachte, den Séb ihm vor dessen Haustür auf die Wange gedrückt hatte. Nur, dass er Izzy das ganz eindeutig nicht erzählen konnte, wenn er von ihr nicht dafür aufs Korn genommen werden wollte, oder?

Aber sowas von.

*stimmte sie ihm grinsend zu*
*Dass das voll ihr Ding wäre*
*sie fand Kitsch eben super*
*ganz im Gegensatz zu ihrem Cousin*

*sie lachte leise*
*als er meinte sie würde übertreiben*

Ich übertreibe nicht!

*erklärte sie ihm*
*und meinte es tatsächlich so*
*ihr Cousin war definitiv einer der liebenswertesten Menschen überhaupt*
*was nur leider kaum jemand erkannte*
*weil er einfach jeden von sich stieß*
*der es darauf abgesehen hatte*
*hinter seine harte Schale zu kommen*

Wenn er dich bisher nicht geliebt hat, dann tut er es jetzt - du Held mit strahlender Rüstung.

*erklärte sie ihm fachmännisch grinsend*
*und kicherte bei seinem Einwand*
*Séb hätte wohl nen kleinen Kick*
*wenn man ihn wegstieß*

Dann musst du ihn wohl ran lassen.

Doch, du übertreibst.

*hielt er schmunzelnd dagegen*
*musste allerdings zugeben*
*dass es sich gut anfühlte so etwas zu hören*
*erst recht wenn es von der Person kam*
*die ihn auf diesem Planeten wohl am besten kannte*
*trotzdem hätte er das so nicht unterschrieben*
*er war ein fieser Typ*
*zum fürchten sogar*
*der Schulschläger eben*
*kein Held in strahlender Rüstung*

Du hast so einen an der Klatsche, echt.

*wehrte er sich den Kopf schüttelnd gegen ihre Behauptung*
*der Typ war nicht in ihn verknallt*
*der war nur scharf auf ihn*
*was er ihm ja auch gar nicht verübeln konnte*
*aber trotzdem nervte es*

Meinst du, ja? Ich weiß ja nicht, ob der Idiot dann glaubt er hat nen Erfolg.

*bestimmt würde er das denken*
*einen Versuch wäre es aber vielleicht trotzdem wert*
*ach, er hatte doch auch keine Ahnung*