Als Charly vor knapp zwei Monaten widerwillig und ohne Recht auf Mitsprache nach Marseille gezogen war, hatte sie nicht erwartet, dass sich ihr Leben auf diese Art und Weise ändern würde. Hatte nicht erwartet, dass sie sich tatsächlich hier einleben würde und tatsächlich auch Freunde fand. Freunde, die ebenso unerwartet waren wie die Tatsache, dass sie angefangen hatte Marseille deutlich weniger schlimm zu finden und die Stadt auch deutlich weniger zu hassen. Freunde wie Jaq und seine Gruppe, mit denen sie sich regelmäßig traf und abhing. Freunde, die man wohl gut als schlechten Umgang betiteln könnte, aber die ihr dennoch den nötigen Halt in ihren ersten Wochen in Marseille gegeben hatten. Natürlich waren es aber auch Jaq und seine Freunde gewesen, denen sie nicht nur ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol zu verdanken hatte, sondern auch ihren ersten Zug am Joint, genau wie jeden weiteren Zug und jede Tüte, die sie sich selbst gebaut hatte. Ebenso unerwartet war auch ihre andere und erste Freundschaft in Marseille gewesen, denn niemand hätte wohl gedacht, dass sie sich ausgerechnet mit einem Obdachlosen anfreunden würde, doch genau das hatte sie getan. Und neben Jaq war er ihr liebster Freund geworden. Sie verbrachte ihre Zeit gerne mit dem Älteren, unterhielt sich gerne mit ihm und war einfach gerne in seiner Nähe, wenngleich er wohl eine ähnlich schlechte Gesellschaft und Umgang wie ihre anderen Freunde war, hatte er ihr im Grunde immer mal wieder erklärt wie Drogen und Drogen nehmen funktionierte. Aber all das war ihr egal, denn er war ihr The Line und sie seine Rocky, alles Andere zählte da einfach nicht. Zumindest nicht für sie, denn sie war sich sicher, dass ihr Onkel dies anders sehen würde, weswegen der Mann auch nichts von ihren Freunden wusste. Und auch niemals von ihnen erfahren würde.
Und fast genauso überraschend wie all die Dingen davor war die Tatsache, dass Théo tatsächlich eingewilligt hatte, mit ihr zum Schulfest zu gehen, welches auf Flyern beworben wurde. Zwar hatte sie gehofft, dass der Obdachlose zustimmen würde, doch erwartet hatte sie dies ganz sicher nicht, weswegen sie fast noch glücklicher darüber war, dass sie sich geirrt hatte. Entsprechend gut gelaunt lief sie neben Mathéo her, während man ihr ansehen konnte, dass das für sie bereits jetzt ein richtiger guter Tag war, ganz egal wie er sich entwickeln würde. “Das wird bestimmt witzig werden.”, teilte sie dem Älteren mit, während sie kurz zu ihm hinüber grinste und ihn einen Moment betrachtete. “Hattest du früher auch Schulfeste?”, hakte sie neugierig nach und war gespannt auf die Antwort, denn Charly liebte es, Dinge über den Anderen und seine Vergangenheit zu erfahren, worüber der Blonde viel zu selten sprach.
Kurz warf sie einem Paar, an denen sie vorbeikamen, einen Blick zu und die Art und Weise wie die Frau sich bei dem Mann eingehakt hatte, war wohl an Spießigkeit nicht zu übertreffen, weswegen sie grinsend zu Théo sah und sich genauso bei dem Mann ein hakte. “Was für ein zauberhafter Tag, Darling, findest du nicht auch? Und wir sollten dringend auch solche Blumen in unseren Garten pflanzen.”, gab sie in bester Spießigkeit Marnier von sich, bevor sie leise lachte und sich neugierig umsah, nachdem sie das Schulfest endlich betreten hatten.