Im Knast hatte er immer wieder gehört, man solle sich auf das Leben konzentrieren, das einen draußen erwartet, um nicht verrückt zu werden. Sich nicht in der Zelle aufzuhängen oder in einer Messerstecherei sein Ableben zu provozieren. Bei Théo hatte das allerdings eher zu genau dem gegenteiligen Effekt geführt. Vierzehn Monate und kein einziger Besuch von Louna. Was das zu bedeuten hatte, hatte er sich denken können: Vermutlich hatte sie ihn genauso abgeschrieben wie Cai. Wahrscheinlich hatten die beide sich abgesetzt und führten jetzt ein happy live ohne ihn, oder so. Niemals hätte er jedoch mit der Wahrheit gerechnet. Lou hatte Cai vor die Tür gesetzt, war ins Krankenhaus gekommen und hatte ihr gemeinsames Kind verloren. Zwar hatte er von der Schwangerschaft erst bei ihrem Wiedersehen erfahren, der Verlust saß ihm jedoch in jeder Minute, die er nicht hign war, nochimmer in den Knochen. Sie hätten eine Familie sein können. Wer von ihnen der biologische Vater war - und auch ob es überhaupt einer von ihnen war - spielte keine Rolle. Das Kind unter Lou's Herzen war genauso sein Kind wie das von Cai.
Das alles hatte er genauso erwartet, wie die überraschende Bekanntschaft zu dem fünfzehnjährigen Mädchen, das er liebevoll The Line nannte. Eigentlich war Théo davon ausgegangen, dass sie sich nur diesen einen Tag einen Einblick in sein beschissenes Leben gönnen und sich dann ihrer Privilegien freuen und ihn vergessen würde. Er sah schließlich nicht, welchen Mehrwert sie aus ihrer Bekanntschaft zog. Überraschenderweise hatte er damit jedoch falsch gelegen, denn die Kleine kam immer wieder an seinem Stammplatz oder im Bahnhof vorbei um mit ihm abzuhängen. Dabei brachte sie ihm häufig etwas zu Essen oder ein bisschen Kleingeld mit, sodass er angefangen hatte ihre Gesellschaft schon aus diesem Grund zu genießen. Und auch sonst war die Kleine wirklich eine nette Gesellschaft, die ihn für nichts was er sagte verurteilte oder ihm das Gefühl gab, Dreck unter ihren Fingernägeln zu sein. Sie war einfach da und plauderte mit ihm über ihr Leben, hörte sich seine Gedanken dazu an und manchmal, so schien es ihm, nahm sie ihn sogar ernst.
Heute tauchte sie auf und lud ihn ein sie auf ein Schulfest zu begleiten. Nichts, worauf er wirklich Bock hatte - was sollte er auch bitte auf einem Kinderfest?! - doch er hatte sie nach einem Schuss in vergleichsweise guter Laune und mit Energie erwischt und die Aussicht, dass sie ihm was ausgeben würde, hatte letztlich gezogen, sodass der Straßenköterblonde neben ihr her lief. "Du meinst, wenn alle uns angucken als hätten wir ne ansteckende Krankheit? Wenn das deine Definition von Spaß ist, The Line, wirst du heute den besten Tag deines Lebens haben.", murrte er ihr entgegen, denn er erwartete genau das von diesem Ausflug. Lauter besorgte Eltern, die sich fragten was der abgeranzte Junkie hier machte. Wundervoll. "Hab mit dreizehn oder so die Schule geschmissen.. aber ja, manchmal gab's solche Feste. Bin ich aber nie hin.", anfangs weil der Familie das nötige Kleingeld gefehlt hatte, später weil er sich dort sowieso nur ausgegrenzt gefühlt hatte und mit seinen Freunden lieber Drogen genommen hatte als auf so blöden Festen herumzuirren.
Leicht hob sich eine Braue, als sich die Kleine bei ihm einharkte als wären sie so ein spießiges Liebespaar. Bei den folgenden Worten musste er schließlich aber doch grinsen. "Aber natürlich Darling, ich pflanze jedes Pflänzchen in den Garten, das du dir wünschst.", gab er etwas nasal zurück, ehe sie das Fest auch schon betraten. "Also, was willst du machen, Kleine?"