Die letzten paar Wochen kamen wir vor wie eine Art Fiebertraum, wenn ich daran dachte was alles passiert war. Eigentlich war es gar nicht mal besonders viel, das weltbewegend gewesen wäre, was aber eindeutig ganz schön an mir gerüttelt hatte war neben dem Aufeinandertreffen mit Val und seinem Chef in Kombination mit meinem ersten und wohl auch letzten Aufenthalt in einer verdammten Villa, eindeutig der Abend, an dem ich Séb nach Hause gebracht hatte. Nicht etwa, dass unsere Unterhaltung auf dem Heimweg großartig etwas mit mir gemacht hatte, auch wenn ich jetzt deutlich mehr über ihn wusste als noch zu Anfang, hatten allein eine Umarmung und ein Kuss auf die Wange gereicht, um mich doch mehr durcheinander zu bringen, als mir lieb war. Nicht nur, dass der Spinner mir im Alltag immer mal wieder im Kopf herum spukte, obwohl ich ihn den ganzen Tag nicht auf dem Schulgelände gesehen hatte, nein, selbst während ich mit Val beschäftigt gewesen war, hatte er dann und wann meine Gedanken gekreuzt. Letzte Woche im Club? Dasselbe. Total bescheuert, abschalten konnte ich das Ganze aber leider auch nicht. Gleichermaßen hatte mich irgendwann im Verlauf dieser Woche der Gedanke eingeholt, dass er vermutlich wirklich nichts übles vor hatte, dass er keinem von uns irgendetwas böses wollte, wenn ich ihm glaubte, dass man ihn da wo er ursprünglich herkam, gemobbt worden war.
Ich schluckte, nachdenklich am Fingernagel meines Daumens herum nagend, während ich auf meinem Platz in einer der Sitzecken des Clubs hockte und beobachtete, wie ein Teil der Clique auf der Tanzfläche beschäftigt war, während der Rest auf sich warten ließ und ich allein mit meinem Drink zurückgeblieben war, weil meine Gedanken mal wieder überall unterwegs waren, nur nicht da, wo sie eigentlich sein sollten. Ob er sich wohl schon mit seinem Bruder zum Feiern getroffen hatte? Was, wenn sie ausgerechnet heute in genau diesem Club unterwegs wären? Sollte ich mich dann einfach unter die Leute mischen und möglichst unbemerkt verschwinden? Keine Ahnung, würde ich mir wohl Gedanken drüber machen müssen, wenn es so weit war. Sollte es denn überhaupt dazu kommen.
Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf und ließ von meinem Finger ab, um einen Schluck zu trinken. Was, wenn nur er hier wäre und wir einander über den Weg liefen? Würde ich dann anders reagieren? Vermutlich, wenn ich bedachte wie oft ich in den letzten Tagen darüber nachgedacht hatte, was meine Cousine bereits vor einer Weile zu mir gesagt hatte. Vielleicht sollte ich mich einfach mal drauf einlassen. Nur ein einziges Mal. Vielleicht war er dann zufrieden und ließ mich auch einfach in Ruhe. Einen Versuch war es wert. Und diese Lippen… Wenn diese Lippen mich schon so aus der Fassung brachten, wenn sie nur meine Wange berührten, wollte ich einerseits nicht wissen, was sie mit dem Rest von mir machten – andererseits aber wollte ich das unbedingt. So ungern ich es mir auch eingestehen wollte, dass ich vielleicht doch ziemlich scharf auf den Jüngeren war. Fuck! Mit einem großen Schluck mein Glas geleert erhob ich mich von meinem Platz und machte mich selbst auf den Weg auf die Tanzfläche, wenngleich es mir dabei eher darum ging den Weg bis zu den Klos hinter mich zu bringen, auf dem ich mich durch die tanzenden Körper zwängte. So ein Scheiß, echt. Wie sollte ich vernünftig Party machen, wenn ich dauernd über diesen Spinner nachdachte?