„Klar hab ich Recht damit, was denkst du denn?“ Natürlich konnte ich nachvollziehen, dass es unangenehm sein musste, davon zu erzählen, was da passiert war, aber trotzdem war wohl auch niemandem damit geholfen, wenn er es nicht tat und ausgerechnet der Auslöser für das ganze Dilemma keine Ahnung davon hatte, was passiert war. Dabei war das wohl nicht nur zu Sébs, sondern auch zu Tims besten. Auch, wenn ich diesen Tim nicht kannte. „Nichts sagen macht’s auch nicht besser. Wenn du’s nicht sagst, sag ich es.“ War ganz einfach, auch wenn ich meine Worte im nächsten Augenblick schon wieder bereute. Eigentlich wollte ich echt nicht mit zweien von seiner Sorte in einem Raum sein, der eine machte mir schon genug Ärger für zwei, wie ich fand. Trotzdem war ich felsenfest davon überzeugt, dass das so nicht ging, dass er nicht einfach gar nichts sagen konnte nur, weil es unangenehm war, darüber zu sprechen. Wäre ja noch schöner, wenn es einfach gewesen wäre.
Dass er wieder einen Weg fand, das Ganze so auszulegen, dass es ihm gefiel, war ja eigentlich wieder klar gewesen. Entsprechend vorbereitet war ich auch darauf gewesen, direkt die Augen zu verdrehen, als er wieder damit anfing. „Ich hatte nen guten Abend und dachte mir das ist ein guter Moment für meine eine gute Tat im Jahr, da gibt’s keinen Grund direkt wieder die Fakten zu verdrehen, du Spinner.“ Natürlich hatte er seine Freunde nicht stehen lassen, um Zeit mit Séb zu verbringen, sondern eher, weil er bemerkt hatte, wie sehr den Anderen die vorherige Situation aufgewühlt hatte und ganz egal, wie sehr er sich um diesen Ruf bemühte – am Ende des Tages war er kein Monster. Den Jüngeren einfach sich selbst zu überlassen und darauf zu vertrauen, dass er schon zurechtkam, wäre einiges gewesen, aber ganz sicher nicht in Ordnung.
Hatte ich gerade noch einen auf cool gemacht, verschwand sämtliche Coolness aus meinem Körper kaum, dass Séb nicht nur davon sprach sich einfach zu uns zu gesellen, sondern auch direkt nach meiner Hand griff, um sich mit mir auf den Weg zum Klo zu machen. Während ich regelrecht hinter ihm her stolperte, überschlugen sich gleichzeitig meine Gedanken. Hatte er mir das ernsthaft abgekauft? Aus all den Dingen, die ich ihm bisher gesagt hatte, glaubte er mir ausgerechnet das, was nicht gelogen war? Nein, nein. Auf gar keinen Fall glaubte er mir das. Der kleine Wichser nahm sich ganz sicher einfach auf den Arm und tat nur so, als würde er mir glauben. Wann hatte er mir schon irgendetwas geglaubt? Noch nie. Ganz egal wie penetrant ich darauf bestand, dass ich es absolut ernst meinte. Jetzt und hier würde er ganz sicher nicht damit anfangen. Ehe ich mich selbst aber wieder hätte fangen und die Notbremse hätte ziehen können, fand ich mich bereits zusammen mit meiner Pestbeule auf dem Herrenklo wieder, wo ich endlich meine Stimme wiederfand. „Alter, verarsch mich nicht!“, wurde ihm einfach direkt entgegen gebellt, während ich ihn direkt gegen die nächste Wand stieß und mich vor ihm platzierte, die Hände links und recht neben ihm gegen die kalten Fliesen gestemmt, um ihn an Ort und Stelle zu halten. Vielleicht auch, weil ich glaubte, dass das ein ganz guter Ausgangspunkt für das war, was ich mir vorher noch vorgenommen hatte. Auch, wenn mir dieser Gedanke erst kam, als es bereits passiert war und ich mich so vor ihm wieder fand – ohne jede Intention ihn zu schlagen, obwohl es zunächst einmal vielleicht so wirkte. „Als ob du mir das jemals aufkaufen würdest.“ Schon wurde ich wieder leiser, fast schon handzahm, während ich ihn noch immer da hielt, wo er war. Was wollte ich denn jetzt eigentlich von ihm? Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Sollte ich wirklich durchziehen? Wollte ich das? Irgendetwas würde ich wohl tun müssen, ansonsten wurde das hier in den nächsten paar Sekunden echt seltsam.