Früher hätte es ihn nicht gewundert, wenn ein junges Mädchen gerne Zeit mit ihm verbringen wollte. Früher hatte er aber auch noch Charme besessen, war lustig und lebensfroh gewesen. Früher, bevor das Heroin sein ganzes Leben bestimmt und der Knast alles, was davon übrig geblieben war, in Stücke zerfetzt hatte. Immerhin hatte er es irgendwie geschafft, dass sich gleich zwei Menschen in ihn verliebt hatten. Irgendetwas musste er also ja durchaus an sich gehabt haben, was liebenswert gewesen war. Heute jedoch war davon nicht mehr viel zu sehen. Und so hätte er sich vermutlich in der Frage verlieren können, weshalb Rocky sich überhaupt mir ihm abgab. Nur tat er es nicht. Er war einfach froh über die Gesellschaft und das Essen. Und noch mehr freute er sich, wenn sie ihm ein wenig Geld mitbrachte. Nie genug, dass er damit direkt eine Kugel kaufen konnte, aber zumindest immer ein bisschen. Genug, um den Tag etwas leichter werden zu lassen.
Vielleicht hatte er sich auch deshalb dazu hinreißen lassen, sie zu begleiten. Aus einem Gefühl heraus, ihr etwas schuldig zu sein. Was natürlich irgendwie Bullshit war, denn sie brauchte ihn ja nicht besuchen. Und doch kam sie immer wieder freiwillig zu ihm zurück. Wäre er nicht so heruntergekommen, hätte er wohl vermutet, dass sie sich vielleicht in ihn verknallt hatte. Nachdem sie aber wusste, womit er sich das Geld für seine Sucht verdiente, hielt er dies für überaus unwahrscheinlich. Außer die Kleine war noch kaputter als er.
Sein Blick glitt zu der kleineren jungen Frau, die wie ganz selbstverständlich davon sprach, dass die Leute sie beide für ansteckend halten könnten. Dabei wusste doch jeder, dass er der Einzige war, bei dem man Angst haben würde Kinder könnten ihm zu nahe kommen. Aber es war schön, mal wieder ein wir zu sein. Wenn auch nur für kurze Zeit. Und so berichtete er beinahe freigibig davon, dass er früher kein Interesse an solchen Festen gehabt hatte und auch, dass er früh die Schule abgebrochen hatte. Vielleicht lernte sie ja daraus, wie man es besser nicht machte. Doch würde er es anders machen, wenn er die Wahl hatte? Würde er die Schule abschließen, bei seinen Pflegeeltern bleiben und einfach alles anders machen? Nein, vermutlich nicht. Denn es würde bedeuten, niemals Lou kennenzulernen. Und auch nicht zu erfahren, zu wie viel Liebe sein Herz eigentlich fähig ist. Seine Mundwinkel zuckten zu einem etwas schiefen Grinsen hinauf, als sie sich so verplapperte. "Bist nur traurig, weil du meine Knospe nicht mehr pflücken kannst. Schon klar, ich bin eben ein richtig heißer Kerl.", scherzte er über sich selbst, was wohl deutlich machte, dass er heute wirklich einen ziemlich guten Tag erwischt hatte.
Und so ließ er sich auch sofort auf ihren kleinen Scherz ein, sich wie ein etepetete Pärchen aufzuführen. "Mal abgesehen davon, dass du alles zahlen musst... wolltest du doch her. Entscheide du. Ich mach alles mit.", erklärte er ihr mit einem leichten Schulterzucken.