„Vermutlich wäre sie auch finanziell aufgeschmissen. Selbst wenn sie arbeitet, wird sie niemals das Gehalt bekommen, das ihr Mann bekommt und vermutlich sehr weit unter dem Standard leben, den sie mit ihm gewohnt ist. Es gibt also einiges zu verlieren. Außerdem wurde die Geschichte ja auch vor fast hundert Jahren geschrieben. So eine Scheidung war da noch nicht wirklich Gang und Gäbe. Ich denke auch das könnte schwierig werden.“ Und in jedem Fall hätte sie die Schuld getroffen, da war er sich sicher. „Ich hab‘ dazu mal was im Fernsehen gesehen. Wenn so eine Ehe kaputt ging, war damals immer die Frau Schuld und man konnte sich nur unter bestimmten Bedingungen scheiden lassen.“ Im Grunde hatte gerade zu dieser Zeit eine Frau nur verlieren können. Heute war es manches Mal nicht besser, aber wenigstens konnten sie eine Ehe relativ unbeschadet entkommen, wenn sie darin nicht mehr glücklich waren. „Auf der anderen Seite gewinnt sie eben ihre Freiheit. Vor ihm. Mehr Selbstbestimmung eben. Ich denke das ist ein Fall, in dem sie sich überlegen muss, was ihr wichtiger ist.“ Stabilität oder Selbstbestimmung. Ziemlich traurig, wie er fand. Gut, dass wenigstens diese Zeiten vorbei waren. Dabei war die Gesellschaft in der sie lebten noch immer ganz schön verkorkst.
Krass war ein Ausdruck, den Paco selbst noch für ziemlich milde hielt. Es gab vielleicht nicht besonders viel auf dieser Welt, das der Mexikaner wirklich verstand, die Logik dahinter wie Frauen in der Gesellschaft behandelt wurden aber erschloss sich ihm einfach nicht. Vielleicht aus dem simplen Grund, dass er umgeben von starken Frauen aufgewachsen war und der Mentalität, die seiner gesamten Familie innewohnte. Alle waren gleich. Alle waren fähig. Man ergänzte sich da, wo es Schwächen gab, man war immer füreinander da und respektierte einander. Seine Cousine war das krasseste Mädchen, das er kannte und irgendwie – für ihn – der Inbegriff einer Frau. Sie war stark, sie wusste, was sie wollte und wie sie sich durchsetzte, gleichzeitig war sie aber eben auch das, was andere von Frauen erwarteten. Wenn sie es denn wollte. Und ihr Gegenüber es verdient hatte. Wenn er eine Sache wusste, dann war es, dass er Frauen mochte. Sehr sogar. Wenn auch nicht sexuell. Zu schätzen wusste er sie eindeutig und wenn er ehrlich war, hielt er sie oft für tougher als Männer. Er für seinen Teil hatte jedenfalls keinen Bock darauf jeden Monat auszubluten und unter Schmerzen zu leiden oder sogar einen Menschen sonst wo rauszupressen. „Ich glaub‘ das Wort, das du eigentlich suchst, ist krank. Es ist krank, dass das heute noch so ist.“ Nicht überall, das wusste er. Aber es reichte, dass es stellenweise so lief. Und kaum einer hörte ihnen zu. „Würden meine Cousine und ich dasselbe lernen und den gleichen Job im selben Betrieb machen, würde ich hoch wahrscheinlich trotzdem mehr verdienen als sie nur weil ich ein Typ bin und sie eine Frau.“ Was total bescheuert war. Alles, was er konnte, konnte Izzy um Längen besser, wenn sie es nur versuchte und auch wirklich wollte. Außer vielleicht lesen und schreiben. Aber dafür konnte sie wirklich nichts. „Und die ganze Scheiße, die sie sich von Typen geben lassen muss, ist total krank.“ Klar gab es auch Arschlöcher, die ihn anmachten und manch einer wollte auch einfach nicht lockerlassen, aber er musste trotzdem nicht aufpassen, wenn er allein unterwegs war. Weder tagsüber noch nachts. Kein Wunder, dass er unbedingt auf die aufpassen wollte. Wenn sie keinen älteren Bruder hatte, der jeden windelweich prügelte, der sie nicht gut genug behandelte, dann erledigte das eben ihr älterer Cousin.